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Der aktuelle Fall zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM)
Darf der Personalrat oder der Betriebsrat bereits in der Einladungsphase
zum BEM ohne Zustimmung des Beschäftigten von der Tatsache der Einladung des
Beschäftigten zum BEM informiert werden? Der
Arbeitgeber darf die Schwerbehindertenvertretung und die
Interessenvertretung gem. § 93 SGB IX nur mit Zustimmung und Beteiligung der
betroffenen Person einschalten. Dies gilt im Hinblick auf das
informationelle Selbstbestimmungsrecht auch in der Einladungsphase zum BEM. OVG
Berlin-Brandenburg vom 20. November 2008 - OVG 60 PV 9.07 -
Der Fall: Der Arbeitgeber hat im entschiedenen Fall Beschäftigte,
die innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder
wiederholt arbeitsunfähig waren, im Hinblick auf die gesetzliche
Verpflichtung des § 84 Abs. 2 SGB IX
angeschrieben und um Zustimmung zur Durchführung des betrieblichen
Eingliederungsmanagements gebeten. Der im Betrieb des Arbeitgebers
existierende Personalrat verlangte daraufhin bereits in der Einladungsphase
am Verfahren beteiligt zu werden und insbesondere Kenntnis darüber zu
erhalten, wer konkret angeschrieben worden war. Der Arbeitgeber weigerte
sich, die Namen derjenigen Beschäftigten, die um Zustimmung zur Durchführung
des betrieblichen Eingliederungsmanagements gebeten worden waren, dem
Personalrat gegenüber zu offenbaren und den Personalrat bevor noch die
Zustimmung des Beschäftigten vorlag bereits in der Einladungsphase am
Verfahren zu beteiligen. § 84
Abs. 2 SGB IX formuliert folgende Verpflichtung für den Arbeitgeber: „Sind
Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen
oder wiederholt arbeitsunfähig, klärt der Arbeitgeber mit der zuständigen
Interessenvertretung im Sinne des § 93, bei schwerbehinderten Menschen
außerdem mit der Schwerbehindertenvertretung, mit Zustimmung und Beteiligung
der betroffenen Person die Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit
möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen und Hilfen erneuter
Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann
(betriebliches Eingliederungsmanagement).“
Hintergrund: Das
betriebliche Eingliederungsmanagement wird heute häufig derart betrieben,
dass, bevor überhaupt eine qualifizierte Einwilligung des Beschäftigten zur
Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements vorliegt, die
Arbeitnehmervertretungen (Betriebsrat, Personalrat,
Schwerbehindertenvertretung und gegebenenfalls Frauenvertretung) darüber
informiert werden, welche Beschäftigten angeschrieben werden sollen. Dies
geschieht offenbar im Hinblick auf § 84 Abs. 2, Satz 7 SGB IX, wonach
Personalrat und Betriebsrat sowie Schwerbehindertenvertretung darüber zu
wachen haben, dass der Arbeitgeber die gesetzliche Verpflichtung zur
Durchführung des Eingliederungsmanagements erfüllt. In diesem Rahmen kommt
es häufig zur Einrichtung von so genannten Integrationsteams, die teilweise
dann auch entscheiden, welcher Beschäftigte um Zustimmung zur Durchführung
des BEM gebeten wird. Damit verbunden ist dann selbstverständlich die
Kenntnis davon, dass der Mitarbeiter der angeschrieben wird, wiederholt
arbeitsunfähig oder aber länger als sechs Wochen ununterbrochen
arbeitsunfähig innerhalb eines Jahres war. Zudem
sehen vielfach die innerbetrieblichen Regelungen zum Umgang mit Krankheit im
Arbeitsverhältnis bei Krankenrückkehrgesprächen und Fehlzeitengesprächen
sowie so genannten Krankenbriefen die Beteiligung der
Arbeitnehmervertretungen vor. Der
Arbeitgeber im zu entscheidenden Fall vertrat die Auffassung, dass die
Beteiligung des bei ihm gebildeten Personalrates erst nach Vorliegen einer
qualifizierten Einwilligung des Beschäftigten erfolgen kann. Zum
einen ergebe sich dies aus dem Wortlaut des § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX
bereits. Zum anderen hat sich der Arbeitgeber in dem zu entscheidenden Fall
darauf berufen, dass eine Auskunftserteilung vor einer Einwilligung des
Beschäftigten wegen der dann gegebenen Verletzung des informationellen
Selbstbestimmungsrechts nicht zulässig sei.
Die Entscheidung: Das OVG
Berlin-Brandenburg hat die Ansicht des Arbeitgebers
bestätigt. Der
Arbeitgeber allein setze bereits nach dem Wortlaut der Vorschrift das
betriebliche Eingliederungsmanagement in Gang. Er bestimme den Kreis der
Beschäftigten, die in einen Klärungsprozess nach § 84 Abs. 2, Satz 1 SGB IX
einzubeziehen sind und um Zustimmung zur Durchführung des
Eingliederungsmanagements zu bitten sind. Erst wenn der/die Beschäftigte
seine/ihre Zustimmung zur Durchführung des Eingliederungsmanagements erklärt
habe, beginne in der zweiten Phase der eigentliche Klärungsprozess, wie die
Arbeitsunfähigkeit überwunden und einer erneuten Arbeitsunfähigkeit
vorgebeugt werden kann. Da vor der Versendung des Informationsschreibens an
den betroffenen Beschäftigten noch keine Zustimmung des Betroffenen
vorliegen könne, verbiete sich eine Information der Arbeitnehmervertretungen
darüber, welche Beschäftigten angeschrieben werden. Würde die
Arbeitnehmervertretung darüber informiert werden, hätte sie nämlich
aufgrunddessen Kenntnis darüber,
wer im Betrieb im der Norm entsprechenden Umfang erkrankt gewesen sei.
Die
Weitergabe solcher persönlicher Daten und Lebenssachverhalte, insbesondere
aus der Intim- bzw. Privatsphäre ohne Einwilligung der betroffenen
Beschäftigen bedeute aber eine Beeinträchtigung der Persönlichkeitsrechte
der Betroffenen. Dieser Persönlichkeitsschutz sei Ausfluss des Rechts auf
informationelle Selbstbestimmung, dass jedem Beschäftigten gegenüber seiner
Dienststelle und damit auch gegenüber der Personalvertretung als Teil
derselben bezüglich seiner persönlichen Daten zustehe. Um solche
persönlichen Daten handele es sich auch bei einer namentlichen Auflistung
der Zeiten krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Diese Gesundheitsdaten
seien nicht weniger schützenswert als das Bestehen einer Schwangerschaft.
Sie
seien also hinsichtlich ihrer Vertraulichkeit und des Maßstabs, der an ihre
Zugänglichkeit für die Personalvertretung anzulegen sei, Personalakten im
Wesentlichen gleichzusetzen.
Der
Arbeitnehmervertretung werde ihre Überwachungsaufgabe nicht dadurch
unmöglich gemacht, oder auch nur unzumutbar erschwert, dass sie keine
Namenslisten mit den Beschäftigten die einem betrieblichen
Eingliederungsmanagement zustimmen sollen, erhalten. Generell habe die
Personalvertretung (oder der Betriebsrat) im Rahmen vertrauensvoller
Zusammenarbeit keinen Anlass, die Angaben des Arbeitgebers über den Kreis,
der von einer möglichen Klärung betroffenen Beschäftigten in Zweifel zu
ziehen, zumal es sich bei der Erfassung der in Frage kommenden Beschäftigten
um eine einfache Rechenaufgabe handelt. Dem OVG
Berlin-Brandenburg ist zuzustimmen: Die Weitergabe persönlicher Daten und
Lebenssachverhalte, insbesondere aus der Intim- bzw. Privatsphäre ohne
Einwilligung der betroffenen Beschäftigten, bedeutet eine Beeinträchtigung
von grundgesetzlich geschützten Persönlichkeitsrechten der Betroffenen.
Praxishinweis: Um dem
Personalrat oder Betriebsrat seine Überwachungsaufgabe möglich zu machen,
ist es ausreichend, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmervertretungen ein
Musteranschreiben zum BEM zur Kenntnis gibt und mitteilt, dass er alle im
Rahmen der Vorschrift betroffenen Beschäftigten anschreiben wird und um
Zustimmung zur Durchführung des BEM bitten wird. Nur
sofern in der Dienststelle oder im Betrieb ohnehin vorhanden, ist ein
Verlangen der Arbeitnehmervertretungen nach einer anonymisierten Liste der
Krankheitszeiten aller Beschäftigen gerechtfertigt. Der
Beschluss des OVG Berlin-Brandenburg vom 20. November 2008 ist noch nicht
rechtskräftig. Der Personalrat hat gegen den Beschluss Rechtsbeschwerde beim
Bundesverwaltungsgericht erhoben. So lange
jedoch keine anderslautende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts
bekannt ist, ist jedem Arbeitgeber auf Grund des Arbeitnehmerdatenschutzes
zu raten, weder im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements noch
im Rahmen von Rückkehrgesprächen bei Krankheit, sonstigen Krankengesprächen
oder aber Krankenbriefen, die Arbeitnehmervertretungen nicht voreilig
darüber zu informieren, dass ein Beschäftigter innerhalb eines Jahres
wiederholt oder zusammenhängend länger als sechs Wochen arbeitsunfähig war. Für
derartige Informationen ist derzeit zwingend die qualifizierte Einwilligung
des Beschäftigten erforderlich, die genau bezeichnen sollte, welchen
Personen welche Daten im Einzelnen offenbart werden dürfen.
Weiterführend: Der Beschluss des OVG kann
bei uns angefordert werden. Wenden Sie sich bei Interesse an Frau Liebetrau,
Telefon 030-8647970. Im April-Heft der Zeitschrift „Der Personalrat“ finden
Sie außerdem eine Anmerkung von mir zu dem hier besprochenen Beschluss des
OVG. |
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Maria Timmermann Rechtsanwältin und Fachanwältin für Arbeitsrecht
Kurfürstendamm 59
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